Im September hatte Kulturstaatsministerin Claudia Roth die 84 Gewinner des Deutschen Verlagspreises 2024 bekanntgegeben. Drei Verlage erhielten die jeweils mit 50.000 Euro dotierten Spitzenpreise. Weitere 80 Verlage wurden mit einem Gütesiegel und jeweils 18.000 Euro prämiert. Beworben hatten sich in diesem Jahr 330 Verlage. 80 von 330: Die Chancen standen nicht schlecht, dass nach mehreren erfolglosen Anläufen auch der Erzählverlag mit dieser Verlagsförderung, die als Preis vergeben wird, bedacht werden würde. Aber ach, es sollte auch diesmal nicht sein.
von Peter Amsler, Verleger
Auch zwei Wochen nach der Bekanntgabe wollte mir bei der Verlagsarbeit keine rechte Lust aufkommen. Dabei hatten wir über die Jahre viel erreicht: Gemeinsam mit Freunden und Familie hatten wir ein kleines Erzähluniversum aufgebaut, bestehend aus einer Unternehmergesellschaft, einem vertrauenswürdigen Auslieferer, mit einem Kreis von Stammkunden, Kontakten zu Druckern, Beratern sowie mit einem gemeinnützigen Verein für Kulturevents. Unser Netzwerk umfasst heute drei Dutzend Autorinnen und Autoren, die meisten von ihnen Erzählkünstler, engagiert und brennend für ihre Kunst, immer unterwegs.
Auch diesen Erzählenthusiasten hätte die Anerkennung gutgetan, denn das freie mündliche Erzählen erlebt gerade eine Renaissance. Das Publikum kommt, die Leute hören wieder zu und möchten miterzählen. Erzählen wird zunehmend als Gegengift zur überbordenden Digitalisierung wahrgenommen. Statt Entfremdung und Vereinzelung stehen authentische Begegnungen und Geschichten ohne technische Vermittlung im Vordergrund. Nur eine gute Geschichte und die Könnerschaft in der Performanzsituation zählen. Geschichtenvermittlung kann nicht unmittelbarer sein.
Und nun das: Schon wieder nicht wahrgenommen worden, wo doch die Staatsministerin und ihre Partei so viel von Austausch und Begegnung reden. Der Alltag soll "stets neu ausgehandelt werden", hatte ich verstanden. Ein ambitionierter Verlag, der sich als Plattform für Erzählkunst und Erzählkultur versteht, ist mit der Methode des freien Erzählens eigentlich im Sinne dieses Denkens. Meine Leute jedenfalls glauben an den Bedarf einer sichtbaren Wertschätzung, müssen sie doch allzu oft unter dieser Unternehmung leiden.
Nach einigen Tagen stieg mir in der Morgenstunde ein Trostgedanke herab: Es ist zwar nichts gewonnen, aber auch nichts verloren, dachte ich in die Dämmerung hinein. Wie bei meinem Freund M., der mit seinem kleinen Schauspielunternehmen noch immer an den staatlichen Rückzahlungsforderungen aus der Corona-Zeit zu knabbern hat... Wenn uns Frau Roth schon keine gute Fee war, eine Räuberin im Staatsgewand war sie uns diesmal wenigstens nicht - und wir sind immer noch frei zu tun, was wir wollen.
Meine Zuversicht, etwas Sinnhaftes und Nützliches zu unternehmen, erhielt ich vollends zurück, als ein mitfühlender, stiller Freund des Verlags uns eine chassidische Geschichte vorbeibrachte, aufgeschrieben von keinem Geringeren als Martin Buber, dessen Denken so gut zu dem unseren passt. Nun ist seine Geschichte zu unserem Preis geworden und als stolzer Preisträger danke ich allen, die an die Unternehmung glauben und sie auch weiterhin unterstützen.
Wie den Sasower ein Dieb belehrte
In dieser Geschichte tritt "der Sasower" auf. Das ist der Rebbe, der in der Tradition des chassidischen Judentums steht. Seine Geschichten und Lehren betonen oft die Bedeutung von Glauben, Nächstenliebe und der Beziehung zwischen Mensch und Gott. Er wird daher oft als weise, humorvoll und zugleich tiefgründig beschrieben, was ihn zu einer inspirierenden Figur für viele Gläubige macht. Was Humor und Hintergründigkeit anbelangt, ist der Sasower dem Nasreddin Hodscha vergleichbar, jedoch weisen beide unterschiedliche kulturelle Hintergründe auf.
Der Sasower reiste einmal im Lande umher, um Geld zum Freikauf Schuldgefangener zu sammeln, aber es gelang ihm nicht, den nötigen Betrag zu erhalten. Da reute es ihn, so viel Zeit der Lehre und dem Gebet umsonst entzogen zu haben, und er nahm sich vor, fortan zu Hause zu bleiben. Am selben Tag erfuhr er, dass ein Jude, der ein Kleid gestohlen hatte, bei der Tat betroffen und nach reichlicher Prügelstrafe in Gewahrsam genommen worden war. Er verwandte sich beim Richter für den Eingekerkerten und erwirkte dessen Freilassung. Als er ihn aus dem Gefängnis holte, ermahnte ihn der Zaddik: "Denk an die Schläge, die du erlitten hast, und hüte dich, dergleichen wieder zu begehen." "Warum denn nicht?", sagte der Dieb, "was einmal nicht geriet, kann das nächste Mal geraten." "Wenn dem so ist", sprach der Sasower zu sich, "so muss auch ich das meine wieder und wieder versuchen."
aus: Martin Buber, Die Erzählungen der Chassidim, S. 532
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